Normalerweise interessiert mich nichts weniger als das Familienleben anderer Leute, aber weil ich weiß das der Author boxen kann wollte ich ihm nicht auf der Strasse begegnen ohne sein Buch gelesen zu haben. Außerdem habe ich gewisses akademisches Interesse an LGBT-Themen, wahrscheinlich weil das einer der wenigen Bereiche ist in dem die westliche Zivilisation ernsthafte Fortschritte zu verzeichnen hat. Als ich ein Kind war gab es keine schwulen oder lesbischen Jugendlichen. Allenfalls gab es Jungs die sich nicht für Mädchen interessierten und Mädchen die lieber unter sich blieben, und wenn sie weit genug aus sich herauskamen um sich als lesbisch oder schwul zu bezeichnen war das was danach kam normalerweise keine Jugend mehr. Was Erwachsene anging – nun, unsere Nachbarin hatte aus beruflichen Gründen öfter die Schauspieler des örtlichen Ensembles zu Besuch und wir durften nicht alleine mit ihnen in einem Zimmer sein, weil ja jeder weiß was die so (ich wusste tatsächlich ziemlich lange nicht was die so. Anspielungen funktionieren immer erst wenn man sie erklärt bekommt, und Gott sei Dank manchmal auch dann nicht). Heute können sich Teenager verlieben und Erwachsene zusammenleben und, wie das Buch nochmal demonstriert, Familien gründen und die Welt ist ein kleines bißchen besser deswegen. Klar gibt es immer noch Diskriminierung bei Besuchsrechten, Adoptionen, Steuern etc., aber das sind Dinge die sich, ein paar ewiggestrige Stoffel hin oder her, durch das konsequente Breittreten existierender Rechtsnormen in ein paar Jahrzehnten erledigt haben werden. Es geht, zumindest in unserer Oase der Glücklichen, nicht mehr um existenzielle Grundsatzfragen.

Der Autor weiß das (klar, er war ja dabei), aber es mag zur Erinnerung dienen das sich heute auf verhältnismässig hohem Niveau jammern lässt. Das Buch handelt von einem queeren Paar das ein Pflegekind aufnimmt, und der Fragebogen der zur Vorbereitung für das Jugendamt ausgefüllt werden muss dient als thematische Klammer über die verschiedenen Kapitel hinweg.

Die Behauptung dass “Heteropaare keine Fragebögen ausfüllen müssen, die können einfach poppen” finde ich ein bißchen unsensibel gegenüber Heteropaaren die aus verschiedenen Gründen nicht einfach poppen können oder wollen (mal abgesehen davon dass noch andere Motive für die Aufnahme von Pflegekindern gibt), aber vor allen ist das keine genderspezifische Diskriminierung, den muss jede/r Bewerber/in ausmalen. Das Buch kommt auch mit einem netten Disclaimer das es sich nicht als Anleitung zur Aufnahme vom Pflegekindern eignet. Apropos, Bladerunner eignet sich nicht als Anleitung zum Betrieb elektrischer Schafe.

Das (handwerklich rundum gelungene) Buch hat den Untertitel “Roman über eine queere Familie”, aber “zwei Papas” und einer davon trans und jeder weiß was die so hin und her, es ist halt hauptsächlich mal ein Roman über eine Familie. Es läuft mal besser und mal schlechter, und das Kind ist manchmal anstrengend (sind die fast immer), und natürlich lohnt sich die ganze Anstrengung total und der Erzähler hat einen Hund der alles denken darf was der Erzähler selbst nicht denken darf und der stirbt kurz bevor das Kind da ist. Das ist wahrscheinlich sehr symbolisch, oder vielleicht ist auch nur der Hund gestorben. Das alles sehr zauberhaft und da liegt dann auch das Problem: Je mehr queere Geschichten Lebens- statt Leidensgeschichten sind um so mehr sind sie eben genauso öde wie die Lebensgeschichten von allen anderen auch, zumindest wenn man so weit von der Zielgruppe entfernt ist wie ich – das ist die Art von Buch die ein Paar einem anderen (oder vielleicht auch ein Partner dem anderen) schenkt wenn mit winkenden Zaunpfählen darauf aufmerksam gemacht werden soll das es jetzt mal Zeit für eigenen Nachwuchs wird. Also wirklich wundervoll, und schön das es das Buch gibt, aber für meine Zwecke hätte es auch gereicht, das zu kaufen und ungelesen ins Regal zu stellen.

Jasper Nicolaisen
Ein schönes Kleid – Roman über eine queere Familie
Querverlag 2016